Pro-Israel-Kundgebung Frauenfeld. Fotos: Stefan Böker
29.11.2023 23:45
Kundgebung gegen Antisemitismus
Mehrere Redner haben sich am Dienstagabend an einer Demo in Frauenfeld gegen Antisemitismus zu Wort gemeldet
Transparente, Fahnen, Lautsprecher, aus denen die Namen der Verschleppten tönten: Die Kundgebung gegen Antisemitismus im Lindenpark war emotional und die Erste ihrer Art im Thurgau seit dem 7. Oktober. Dabei wurde auch auf die unrühmliche Vergangenheit der Schweiz während der Nazizeit eingegangen.
Frauenfeld Wer sich gewundert hatte, wieso es im Thurgau lange Zeit still blieb mit öffentlichen Solidaritätsbekundungen für Israel und gegen Antisemitismus, der wurde vor einer Woche von einer Nachricht des Frauenfelder Stadtrats überrascht. Kurzfristig hatte dieser eine Demonstration im Lindenpark hinter dem Bahnhof bewilligt. Die «Nachrichten» haben mit Teilnehmenden von der Kirche und aus der Politik gesprochen.
«Aufstehen und beistehen»
Organisiert wurde der Anlass von einem Gebets-Netzwerk aus dem Thurgau. Verantwortlich und Moderator zwischen den Redebeiträgen war Werner Baumgartner. Für den ehemaligen Pastor ist es vor allem die Nennung der Namen aller Geiseln, welche nach dem Massaker am 7. Oktober von Hamas-Terroristen verschleppt wurden, die emotional zu den erschütterndsten Momenten des Abends gehörte. «Sie alle auf Tonband einzusprechen, ist eine acht Minuten lange Aufnahme geworden», sagt er. An der Demonstration lief diese Aufnahme zwischen den Reden ab, abwechselnd mit jüdischer Musik. So wollten die Organisatoren die schiere Dimension des fürchterlichen Überfalls deutlich machen. «Vielen Menschen mag das nicht bewusst sein», so der vierfache Vater, «aber es gibt fast keine Familie in Israel, die nicht selbst betroffen ist. Fast alle kennen Angehörige oder wissen von Freunden, Bekannten oder Kolleginnen unter den Opfern.»
Der 7. Oktober gilt als der grösste Angriff auf das Judentum seit dem Holocaust. Baumgartner, der schon drei Märsche für Israel in Diessenhofen organisiert hat, ist seitdem überzeugter als zuvor. Dies auch, weil er sich als Christ unzertrennbar mit dem Judentum verbunden sieht. Auf der Homepage seiner Hausgemeinde wirbt er für Solidarität. «Wir müssen jetzt aufstehen und Israel öffentlich beistehen», sagt er entschieden. Mit Sorge bemerkt er, wie Judenfeindlichkeit seit dem 7. Oktober salonfähiger wurde. Ein Rabbi habe seine Teilnahme als Redner aus Sicherheitsgründen abgesagt. Sein Text wurde zwar vorgelesen. Aber: «Dass Juden heute in der Schweiz Angst haben müssen, sich frei zu bewegen, ist sehr bedenklich. Wer jetzt wegblickt, macht sich genauso schuldig wie Menschen, die im 2. Weltkrieg weggesehen haben.»
Und das sind, zumindest im Thurgau, ziemlich viele gewesen, wie Daniel Frischknecht, einer der Redner, auf Anfrage der «Nachrichten» zu Verstehen gab. Der ehemalige Grossrat, der in Romanshorn lebt, hat mehrfach für ein Holocaust-Mahnmal in seinem Kanton gekämpft – auch heute wieder. Die Thurgauer Aussengrenze war während des 2. Weltkriegs besonders restriktiv. Ungeheuerliche Ungerechtigkeiten passierten in Kreuzlingen und anderswo. Die Fremdenpolizei schickte unzählige Menschen in den Tod. «Ein Teil unserer Geschichte, der verdrängt wird», kritisiert Frischknecht. «Zum Beispiel wird das Geschehene in der Schule zu wenig thematisiert.» Darum ist der EDU-Präsident Schweiz zur Versammlung gekommen. «Nie wieder ist heute», sagt er. Und mit Blick auf die steigende Judenfeindlichkeit an Demonstrationen in der Schweiz, aber auch Deutschland und weiteren Ländern auf der Welt: «Wir müssen alle aufpassen, dass sich solche schrecklichen Taten nicht wiederholen.»
Vermummungsverbot
An der Demonstration waren rund 15 Ordnerinnen und Ordnern vonseiten der Organisatoren im Einsatz. Die Kantonspolizei war ebenfalls präsent. Der Stadtrat hatte die Besammlung im Lindenpark aufgrund der erwarteten Teilnehmerzahl von bis zu 100 Personen als unproblematisch beurteilt. Das Mitführen von rassistischen Emblemen, die Verbreitung von rassistischen Äusserungen sowie das Abbrennen von Pyrotechnik war strikt untersagt. Zudem bestand ein Vermummungsverbot.
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Von Stefan Böker