06.04.2025 00:00
«Hartnäckigkeit und Frustrationstoleranz»
60 Vertreterinnen und Vertreter von LIFT, der Organisation, die Jugendlichen während der Übergangsphase von der Schule in die Berufswelt unterstützt, trafen sich zusammen mit Wirtschaftsvertretern zu einer Impulsveranstaltung.
Region «LIFT ist für mich ein herausragendes und besonderes Projekt, das Jugendliche beim Übertritt in die Berufswelt besonders unterstützt», sagt Bildungsforscherin Professorin Margrit Stamm einleitend zu ihrem Referat über die soziale Anerkennung verschiedener Berufe. In diesem zeigt sie die grundsätzliche Problematik der Berufsbildung auf. Die Referentin vermittelt Eindrücke über die Berufsbildung, wie sie diese aktuell wahrnimmt. «Momentan fehlen in den Handwerksberufen schweizweit 51 000 Fachkräfte», stellt sie fest. «Die Berufsbildung ist sehr gut aufgestellt», hebt sie hervor und nennt zwei junge Bäckerinnen, einen Maurer, drei Landwirte und einen Strassenbauer, die an den Berufsweltmeisterschaften 2022 Gold, Silber und Bronze erreichten. «Einerseits haben wir Mühe mit der Rekrutierung bei den Handwerksberufen und andererseits gibt es solche Leuchttürme in unserem Land», so Stamm. «Was läuft falsch bei uns», fragt sie sich und präsentiert eine Zusammenstellung der Probleme. Ohne zu werten, stellt sie einen Trend zu einem höheren Berufsniveau fest. Beispielsweise brauche es heute für den Beruf der Hebamme und der Kindergärtnerin eine Matura. Das habe zur Folge, dass gewisse Eltern schon während der Primarschulzeit wissen möchten, wohin es für ihr Kind einmal gehen wird.
Lehrbetriebe selektionieren nach Schultyp
Gemäss Stamm stiegen seit 1999 die Hochschulabschlüsse von 10 auf 29 Prozent, während bei den höchsten Abschlüssen der Berufslehre ein Rückgang von 52 auf 36 Prozent verzeichnet wird. «Im Zuge dieser Akademisierung vergisst man die Profile von Real- und Sekundarschule zu schärfen und diese Bildungswege stärker zu bewerben», sagt sie. Sie erkennt massive Leistungsüberschneidungen zwischen den Leistungszügen, wobei die Lehrbetriebe oft nach dem Schultyp selektionieren. Stamms Studie ergab jedoch: Mittelmässige Schüler in der Sek I - Top an den Berufsweltmeisterschaften. 60 Prozent der Erfolgreichen verfügten über einen mittleren oder bescheidenen Schulabschluss, 33 Prozent waren schlechte Schülerinnen und Schüler und 14 Prozent Repetenten. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin: «Gemäss einer Studie haben Abgängerinnen und Abgänger des Typs Realschule - bei gleichen Schulleistungen, eine sechsmal höhere Chance, eine Lehre mit geringem schulischem Anteil zu absolvieren.
Nicht zu unterschätzender Imagefaktor
Weiter erwähnt die Referentin: «Die wichtigste Person im Rahmen der Berufswahl ist Mutter und von den 230 Berufen werden durchschnittlich fünf unter die Lupe genommen, nämlich jene mit dem höchsten Image-Faktor.» Letzter bezeichnet sie im Rahmen der Berufswahl wichtiger als die eigentliche berufliche Tätigkeit. «Dies führt zu vielen unbesetzten Lehrstellen bei den unbeliebten Berufen und zu vielen erfolglosen Jugendlichen bei der Suche nach einem beliebten Beruf», so die Bildungsforscherin. Sie schildert die Generation Alpha (2010 – 2024) als Aufgewachsene in einem kooperativen Umfeld und gewohnt, auf Augenhöhe die eigene Meinung und Nein zu sagen. Zwar ist diese Generation hochsensibel, ich-konzentriert und blitzschnell im Erfassen und Multitasken, jedoch fehle es ihr an Konzentration und Durchhaltevermögen. Festzustellen seien zudem bei der Generation Z (1995 – 2009) viele Lehrauflösungen und Berufswechsel. Und Stamms klare Forderungen: «Der Lehrplan 21 verfügt zwar über 30 überfachliche Kompetenzen, aber Hartnäckigkeit, Frustrationstoleranz und Durchhaltefähigkeit sind Kompetenzen, welche den Kindern zu wenig vermittelt werden.»
Social Media um Jugendliche zu erreichen
Leider liegt für die Bildungsforscherin der Fokus auf den Ausbildungsberufen mit Prestige, dies auch, wenn ursprünglich angestrebte Ausbildungen den persönlichen Interessen entsprechen würden. Und was empfiehlt sie im Rahmen der Berufsorientierung? «Mehr Gelegenheit durch persönliche Kontakte zu unbeliebten und unbekannten Berufen, Klischeevorstellungen ins Wanken bringen und Anerkennungsbedürfnisse beispielsweise mit Ambassadoren der Berufsweltmeisterschaften diskutieren.» Ergänzend würde sie das Beibehalten der analogen Angebote und den Ausbau der digitalen Möglichkeiten begrüssen und wichtig ist für sie: «Das Schaffen von Übersichtlichkeit im Dschungel der Beratungen, die Kommunikation auf ihre Zielgruppentauglichkeit prüfen, der Einsatz von Social Media, das Finden der richtigen Verpackung für die Inhalte und das Wecken von Emotionen, welche das Individuum und seine Freizeitidentität ansprechen.»
Abschliessend präsentieren die Gruppen ihre im Rahmen der Diskussionsrunde ermittelten Resultate. Dazu gehören das Verzichten auf einen Notenleistungsdruck, das Schaffen von Benefits für Berufslernende und eine möglichst frühe und viele negative und positive Praxiserfahrungen. Gewünscht werden ferner positive Kontakte und das gegenseitige Verständnis zwischen Schule und Wirtschaft. Eine wichtige Erkenntnis ist: Die Vernetzung der lokalen LIFT-Projekte mit Gemeinden und Gewerbeverbänden. ⋌
⋌⋌Werner Lenzin