Fusion kann funktionieren.
27.03.2025 08:00
Gemeinde-Fusion: Erfolgsgeschichte oder verlorene Identität?
30 Jahre Fusion im Reality-Check. Die Gemeindepräsidenten von Bussnang und Amlikon-Bissegg über ihre Erfahrungen
Eine Fusion von Weinfelden mit Märstetten steht zur Diskussion. Amlikon-Bissegg und Bussnang haben diesen Schritt bereits vor 30 Jahren begangen. Ueli Oswald, Gemeindepräsident von Berlingen, denkt derweil nicht an eine klassische Fusion, sondern träumt von einer Mega-Gemeinde Untersee.
Region Drei Jahrzehnte ist es her, dass in der Region bedeutende Entscheidungen getroffen wurden: Amlikon, Bissegg, Griesenberg und Strohwilen sagten «Ja» zu einer gemeinsamen Zukunft als Amlikon-Bissegg, während sich in Bussnang, Friltschen, Lanterswil, Mettlen, Oberbussnang, Oppikon, Reuti und Rothenhausen ein ähnlicher Weg abzeichnete. Der Entschluss zur Fusion war damals keine leichte Sache – schliesslich bedeutete es, alte Gewohnheiten und Strukturen über Bord zu werfen. Heute blicken die Gemeindepräsidenten Thomas Ochs (Amlikon-Bissegg) und Ruedi Zbinden (Bussnang) zurück – und sind sich einig: «Ohne die Fusion wären wir nicht da, wo wir heute stehen.» Zbinden erinnert sich an die ersten Diskussionen über die Zusammenlegung: «Natürlich gab es Skepsis. Wer gibt schon gern seine Eigenständigkeit auf? Doch mit den Jahren haben die Menschen gesehen, dass es nicht darum ging, Dörfer auszulöschen, sondern eine gemeinsame, stärkere
Zukunft zu gestalten.» Ochs ergänzt: «Es war nicht nur ein Erfolg, sondern eine Notwendigkeit. Die Anforderungen an die Verwaltung sind enorm gestiegen. Ohne eine gewisse Grösse wäre das nicht mehr machbar gewesen.»
Ein Dorf bleibt ein Dorf –aber effizienter
Eine Fusion bedeutet nicht, dass plötzlich alles anders ist. Die alten Ortsnamen existieren noch, Vereine treffen sich wie eh und je, und auf dem Land grüsst man sich immer noch freundlich auf der Strasse. Aber eines hat sich definitiv verändert: Die Verwaltung wurde komplexer und musste effizienter werden. Vor der Fusion hatte Bussnang mit seinen acht Ortsgemeinden insgesamt 40 Behördenmitglieder – nach der Fusion waren es noch fünf Gemeinderäte. Der Aufwand hat sich markant verändert, heute müssen Entscheide sehr umfassend angefasst sein, was früher sehr einfach ablief. Da es damals auch weniger Einsprachen gab war es möglich teils am Feierabend eine Gemeinde zu führen, jedoch heute wäre dies nicht mehr zu bewerkstelligen. In Amlikon-Bissegg wurden zwischenzeitlich verschiedene Bereiche wie die sozialen Dienste, Berufsbeistandschaft und technische Werke zusammengelegt. Das spart zwar kein Geld – eine Illusion, die laut Ochs weit verbreitet ist – aber es macht die Arbeit deutlich professioneller: «Kosten sparen? Nein. Aber bessere Stellvertretung und kompetentere Mitarbeiter? Absolut.»
Wirtschaft und Wachstum
Ein wichtiger Punkt war immer die Frage: Bringt die Fusion wirtschaftliche Vorteile? Die Antwort ist je nach Perspektive unterschiedlich. In Bussnang hat sich die Fusion als wirtschaftlicher Turbo erwiesen. Das Industriegebiet ist gewachsen, Unternehmen profitieren von einer zentralisierten Verwaltung, und die Bevölkerung ist von 1900 auf 2600 gewachsen. Ochs hingegen sieht in Amlikon-Bissegg weniger direkte Vorteile für Unternehmen, betont aber den gesellschaftlichen Wandel: «Die Landwirtschaftsbetriebe erleben einen Generationenwechsel.Junge Leute übernehmen die Höfe,
was zeigt, dass wir als Gemeinde attraktiv bleiben.» Auch das Vereinsleben ist weiterhin intakt. Die Vereine sind das Herzstück vieler Gemeinden – und hier hat sich kaum etwas verändert. Zwar gab es in Bussnang einige Fusionen, etwa bei den Chören oder Schützenvereinen, aber das Vereinswesen bleibt ein stabiler Pfeiler der Gemeinschaft. Die Sorgen sind verflogen Eine grosse Sorge bei Fusionen ist immer, ob sich die Identität der Dörfer verliert. Doch nach 30 Jahren zeigt sich: Das Leben geht weiter. Die älteren Generationen erinnern sich noch an die «alten Gemeinden», doch für die Jungen ist die Fusion längst Normalität. Auch Vorbehalte in der Bevölkerung haben sich über die Jahre gelegt. «Anfangs gab es natürlich Skepsis, doch heute gibt es keine lauten Kritiker mehr», sagt
Zbinden. Dennoch werden die Ursprünge nicht vergessen: In Amlikon-Bissegg und Bussnang bewahren Gemeindearchive, Vereinsfahnen und lokale Chroniken die Geschichte der ehemaligen Gemeinden.
Was raten die Gemeindepräsidenten
anderen?
Die beiden Gemeindepräsidenten wissen, dass Fusionen immer für Diskussionen sorgen. Aber ihre Erfahrung zeigt: Wenn es richtig gemacht wird, lohnt es sich. Zbinden rät anderen Gemeinden: «Eine Fusion sollte aus Überzeugung erfolgen, nicht aus einer Notlage heraus. Man sollte alle Optionen durchdenken und sicherstellen, dass es wirklich Sinn macht.» Ochs ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Einfach nur grösser werden ist nicht immer die beste Lösung.
Erste Fusion 1919
Frauenfeld ist heute nicht nur die Hauptstadt des Kantons Thurgau, sondern auch das Ergebnis historischer Gemeindefusionen, die das Stadtbild entscheidend geprägt haben. Besonders bedeutend war die Vereinigung im Jahr 1919: Damals schlossen sich die Ortsgemeinden Herten, Horgenbach, Huben, Kurzdorf und Langdorf mit der Stadt Frauenfeld zur Einheitsgemeinde zusammen – ein Meilenstein in der Geschichte der Stadtentwicklung. Urban Krattiger von der Stadt Frauenfeld erklärt dazu: «Wie man sich vorstellen kann, sind die damaligen Verantwortlichen heute nicht mehr tätig. Unser Stadtarchivar Stephan Heuscher, der viele dieser Entwicklungen aufgearbeitet hat, ist kürzlich in Pension gegangen.» Heuscher veröffentlichte im Jahr 2019 eine Festschrift zur Stadtvereinigung von 1919. Das Werk bietet einen spannenden Einblick in die damalige Zeit und beleuchtet die politischen wie gesellschaftlichen Hintergründe der Fusion. Auch spätere Eingemeindungen prägen das heutige Frauenfeld: 1998 wurden Gerlikon sowie Teile von Oberwil in die Stadt eingegliedert. Diese Schritte waren
Teil einer kontinuierlichen Entwicklung hin zu einer stärker vernetzten, modernen Stadtverwaltung.
Zukunftsmusik am Untersee
Während andernorts über Gemeindefusionen im klassischen Sinn diskutiert wird, denkt man am Untersee grösser. Für Ueli Oswald, Gemeindepräsident von Berlingen, ist nicht die Frage entscheidend, ob fusioniert wird – sondern wie. Und vor allem: mit wem. «Ich könnte mir gut
vorstellen, dass wir künftig grossräumiger organisieren – zum Beispiel in einer neuen Gemeinde Untersee», sagt Oswald. Eine solche würde mehrere Gemeinden umfassen, etwa von Ermatingen über Salenstein bis Wagenhausen. «Das ist einfacher, als eine bestehende Gemeinde zur Hauptgemeinde zu erklären und alle anderen einzugliedern. Es entsteht etwas Neues, Gemeinsames – ohne historische Lasten.» Der Schlüssel liegt für Oswald nicht in der Zentralisierung, sondern in der klugen Aufgabenteilung: «Die Dienstleistungen und Ämter könnten auf mehrere Orte verteilt werden.» Aktuell gibt es am Untersee keine konkreten Fusionsgespräche. Doch Oswald sieht mittelfristig Handlungsbedarf – nicht aus politischen Gründen, sondern organisatorischen: «Die Nachfolgeregelung für Ämter wird in vielen Gemeinden
schwieriger.» Um den Ball insRollen zu bringe, brauche es aber Gemeindepräsidentinnen- und Gemeindepräsidenten mit Weitblick.
Von Desirée Müller