04.04.2024 13:00
Fussballvereine am Verzweifeln
Die Umgangssprache auf dem Spielfeld ist beunruhigend - Wir haben mit Clubs aus der Region gesprochen
Was für uns üble Beschimpfungen sind, gehören heute zum Wortschatz der Jugend. Sätze wie «Schiess mal du Schlampe» oder «bist du behindert?» werden auf dem Fussballplatz verteilt wie früher ein «Mach emol». Die Fussballvereine in der Region haben mit dem Umgangston der Spielerinnen- und Spieler zu kämpfen - der FC Stein am Rhein ist als einziger nicht betroffen.
Region Ein «Hopp, hopp, hopp» hört man kaum mehr vom Spielfeldrand. Vielmehr wird der Schiedsrichter von Spielerpapis beschimpft und die Kinder laut FC Kreuzlingen Trainer Osman Dogru von diesen «massiv eingeschüchtert». Noch beunruhigender: Die Kinder schreien sich auch innerhalb des Teams respektlose Dinge zu – vor allem Dinge wie «F* deine Mutter» sind im Trend. Als Dogru die Mädchenmannschaft übernahm, herrschte verbales Chaos auf dem Platz, denn «nicht nur die Jungs teilen aus». Mit einer klaren, konsequenten Spielphilosophie hat der Trainer die «Girls» nun im Griff. Wie viele der befragten Vereine hat der FCK ein Trainer-Problem, denn diese sind Mangelware. Man müsse «fast jeden nehmen». Und die wenigsten strahlen vor allem in jungen Jahren eine Autorität aus, deren die Kinder Respekt zollen.
Viele Kinder mit Migrations-hintergrund fallen auf
Vereinspräsident Daniel Geisselhardt zeigt sich ebenfalls beunruhigt über die Entwicklung des Umgangs auf dem Spielfeld. Er erkennt in Kreuzlingen mit einem Ausländeranteil von 55 Prozent eine weitere Problematik: «Unsere jungen Spielerinnen und Spieler stammen zu 78 Prozent aus anderen Kulturen. Und unter den restlichen 22 Prozent sind ebenfalls ein Teil mit Migrationshintergrund», so Geisselhardt. Ohne despektierlich zu sein, liege die Tendenz der Kinder, welche verbal auf dem Spielfeld auffallen, bei diesem. «Gewiss nicht alle», verdeutlicht der Präsident. Doch auch Trainer Dogru beobachtet die kulturellen Unterschiede: «Den Schweizern muss ich nicht zweimal sagen, dass sie die Hütchen auflesen sollen nach dem Training. Mit einem Grossteil der Kinder mit ausländischen Wurzeln ist es ein ewiger Kampf.» Osman Dogru selbst kam als Kind in die Schweiz, spricht Thurgauer Dialekt ohne jeglichen Akzent und pflegt die Sitten der Schweizerinnen und Schweizer. Somit ist er das beste Beispiel dafür, dass Menschen aus anderen Ländern sich nicht über eine angepasste «Linguistik» verfügen. Was ihn ebenfalls beunruhige sei die Tatsache, dass viele dieser Kinder zwar hier geboren und in die Schule gehen, die deutsche Sprache aber nicht wie erwartet beherrschten. «Im Training oder im Mannschaftsbus wird meistens gebrochen Hochdeutsch gesprochen. Wenn ich sie auffordere, doch Dialekt zu sprechen, kommt die Antwort, das sie dies nicht können.» Man sei «dran», versichert er. Die Trainer werden geschult, die Kinder «erzogen», doch vom gewünschten Resultat sind die Kreuzlinger noch weit entfernt.
Mehr Verständnis
Beim FC Weinfelden-Bürgeln sieht es ähnlich aus – jedoch bringt der Verein mehr Verständnis auf: «Bei uns spielen viele Kinder aus dem Durchgangsheim. Sie haben viel erlebt und brauchen den Sport als Ventil», so Präsident Roberto Paredes. Fluchwörter haben sie scheinbar schnell gelernt und teilen ordentlich aus. Diese dem Platz zu verweisen oder gar aus dem Verein zu «werfen» fällt schwer. Doch eine Card Blanche haben die Flüchtlingskinder keineswegs. Man sucht das Gespräch und lässt Beschimpfungen unter der Gürtellinie nicht durchgehen. Paredes sieht noch ein anderes Problem: der Jugendslang, mit dem die ältere Generation oftmals nicht klar kommt. «Man Alte, wa söll da?», fragte ein Spieler den Schiri und kassierte gleich eine rote Karte. Ebenso ist der Ausdruck «Digger», übersetzt «Mann», ein beliebtes Wort bei den Kindern und Jugendlichen. «Wir müssen uns zu einem gewissen Teil der Sprache anpassen», relativiert Roberto Paredes. Doch auch hier geht es um Anstand. «Viele unserer Schweizer Kinder sprechen ebenfalls diesen Slang. Doch ich habe das Gefühl, dass sie dies unterm Gruppenzwang tun und zu Hause nicht so sprechen.»
Beim FC Frauenfeld sieht es ganz anders aus. Die Spielerinnen und Spieler gebrauchen die Beschimpfungen sicherlich auch – doch nicht auf dem Spielfeld. Beim ersten Mal gibt’s nach dem Match ein Gespräch, bei «Wiederholungstat» droht der Rauswurf aus dem Team, sogar aus dem Verein, sagt Junioren-Trainer Roman Niederer. Die Trainer beim FCF sind knallhart, wenn es um die Sprache auf dem Platz geht. «Dem Schiedsrichter, den Teamkollegen wie auch den Gegnern wird Respekt entgegengebracht. Auch sind sie angehalten, sich nicht provozieren zu lassen.» Harte Forderungen, da Emotionen zur Natur des Menschen gehören. Doch die Richtlinien sind klar, ohne Kompromisse.
FC Stein am Rhein kennt die Probleme nicht
Einer der befragten Vereine kennt das Problem nicht: Der FC Stein am Rhein. Cheftrainer der Junioren Simon Iseli kennt jedoch die Problematik sehr gut. «Wenn wir gegen Vereine aus Städten spielen, fallen die bekannten Ausdrücke. Für unsere Kinder ist dies sehr unangenehm, da die Phrasen nicht zu ihrem Umgangston gehören.» Vom gegnerischen Team beschimpft zu werden falle so manchem schwer, sich mit ebendiesen Ausdrücken zu «wehren» komme aber nicht in Frage. Dass es Zwist zwischen Spielerinnen oder Spielern gibt, sei unvermeidlich. Denn auch die Jugend aus Stein am Rhein sind keine «Engel». Doch die Sprache sei durchaus eine andere, als bei Kindern aus grösseren Vereinen. Ausser der FC Frauenfeld sind sich alle einig, dass man «En Füfer grad si loh muess» bei der heutigen Jugend. Dass man auf dem Platz ein Auge darauf haben muss, dass sich die Umgangssprache nicht noch stärker in eine beunruhigende Richtung entwickelt, dessen sind sich alle einig.
Von Desirée Müller