Der grosse Gott ein kleiner Mensch
In den kommenden Tagen werden landauf landab Krippenspiele zum Besten gegeben. Kinder schlüpfen in die Rolle von Maria und Josef, Hirten und Königen.
In den kommenden Tagen werden landauf landab Krippenspiele zum Besten gegeben. Kinder schlüpfen in die Rolle von Maria und Josef, Hirten und Königen.
Vor Jahren las ich einen fiktiven Bericht über das Krippenspiel einer Schulklasse, das mit einem Zwischenfall über die Bühne ging. Die Lieblingsrollen waren im Nu verteilt, auch für die Technik und das Richten der Scheinwerfer fanden sich schnell Freiwillige. Das Probelokal war voll von Kindern, die sich in Schafe, Engel, Sterndeuter und Touristen verwandelten. Nur den bösen Wirt wollte niemand spielen. Diese undankbare Aufgabe liessen sie dem Aussenseiter der Klasse übrig, einem Buben, der öfters ins Träumen geriet und in seiner eigenen Welt lebte. Er musste den Hotelier spielen, ob er wollte oder nicht, er hatte keine andere Wahl. Der Bub hat seinen Part tüchtig geübt, damit er ja keinen Fehler macht und sein Auftritt tadellos gelingt. Die hochschwangere Maria mit ihrem Verlobten soll er wegschicken und dabei energisch die Tür zuknallen. Doch als sein grosser Moment kommt und Maria und Josef vor der Tür stehen, macht er das Tor weit auf und ruft liebevoll und mit leuchtenden Augen: «Kommt nur herein, es ist alles bereit!». Worauf es aus Maria herausplatzt: «Spinnst du?» Die Souffleuse versucht zu retten, was noch zu retten ist und die Lehrerin schüttelt den Kopf. Das Publikum gerät ausser sich und beginnt wild um sich zu gestikulieren. Das Weihnachtsspiel ist definitiv im Eimer, der Bub aus der Rolle gefallen.
Oder ist es gerade dieses Kind, das begriffen hat, wozu die Weihnachtsgeschichte einlädt? Hat der Junge so wie er sich die Weihnachtsgeschichte zurechtlegt, nicht eine tiefe Wahrheit verkündet? Würden auch wir mitten im Alltag dann und wann aus der Rolle fallen, könnte ein Stück Weltgeschichte im Kleinen und Grossen ganz anders und neu geschrieben werden. Aus der Rolle fallen heisst das Herz sprechen lassen und ganz sich selbst sein. Auch wenn Konventionen, Sachzwänge, Hierarchien und verinnerlichte Automatismen zu etwas anderem raten. Was könnte an Gutem und Innovativem geschehen, wenn wir nicht bloss als Rollenträger herumliefen, sondern schlicht als Menschen?
An Weihnachten verkünden wir, dass Gott selbst aus der Rolle gefallen ist. Der grosse Gott wird ein kleiner Mensch. Ihn, den alle Welt im religiösen und politischen Zentrum erwartet, versteckt sich am Rand in einer Futterkrippe. Ihn, den man zu kennen glaubt, sorgt für eine Überraschung und zeigt ein ganz anderes Gesicht. In einem Kindlein lächelt er uns an, entwaffnet uns und weckt in uns die Kräfte der Liebe, der Zärtlichkeit und des Guten. In einem Kindlein begegnet er uns, damit die Frage, wer und wie Gott ist, nicht zu schnell abgehakt werden kann. An Weihnachten führt Gott uns an der Nase herum, um uns zum Nachdenken zu bringen und unsere vorgefassten Meinungen zu hinterfragen. Damit wir von ihm, unseren Mitmenschen und von uns selbst nicht kleinlich denken, sondern grösser und weiter.
Für den Schüler, der den Wirt spielen musste, kam das Theater dann erst nach dem Theater. Er musste sich Vorwürfe und Witze anhören und dass er die ganze Aufführung vermasselt habe. Aber zum Glück gab es ein paar einflussreiche Leute, die eine Lobby für ihn bildeten und ihn in Schutz nahmen. Sie meinten, er habe sie mit seinem Lapsus zum Denken und einer inneren Umkehr angeregt. Sie lobten ihn und bekundeten, dass sie hinter diese Erfahrung nicht mehr zurück möchten. Aus der Rolle fallen hat eben seine guten Seiten. Frohe Weihnachten!
⋌Roland Häfliger, Pfarrer
⋌der Pfarrei St. Anna Frauenfeld
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